Fördern

Akademie der Spiele

Menschen

verbinden

Christina Fricke will in den Herrenhäuser Gärten jungen Menschen Kultur vermitteln. Sie initiiert mit der „Akademie der Spiele“ wegweisende Begegnungen.

Lebendig ist es im berühmten Großen Garten in Herrenhausen, einem der bedeutendsten Barockgärten Europas, Hannovers wichtigstem Kulturdenkmal. Im September 2021 herrscht hier quirlige Festivalatmosphäre. Das Durchschnittsalter der Besucher:innen: unter achtzehn. Das häufigste Wort: Digga. Die Teenies sind keine kulturverwöhnten Herrschaften, die still flanieren. Sie sind laut und wild und Gestalter:innen eines Vormittags im historischen Herzen der Herrenhäuser Gärten – und ihrer Zukunft.

Christina Fricke, die im Auftrag der Landeshauptstadt Veranstaltungen für Kinder und Jugendlichen in den ehrwürdigen Gärten organisiert, hat zwei Schulen ausgewählt, die ihre jährliche Projektwoche zur Berufsorientierung ins grüne Herrenhausen verlegen. Heute sind 240 Schüler:innen der Leonore-Goldschmidt-Schule da. Sie kichern und wuseln aufgeregt herum. Hellwache Neuntklässler:innen, die hier Zeit, Raum und Ansprechpartner:innen für ihr Tempo und ihre Ideen finden. Für eine Woche gehört der Große Garten ihnen. Die Gäste, das sind Freunde und Familien, die die Teenager zur Abschlusspräsentation ihrer Projektwoche ins Gartentheater eingeladen haben.

Für die „Akademie der Spiele“ kooperiert Fricke mit großen Gesamtschulen an sozialen Brennpunkten. Die Leonore-Goldschmidt-Schule ist so eine IGS, ihr neunter Jahrgang ist achtzügig. Ihre Lehrkräfte sind aufgeschlossen; zwei sind eigens für die Berufsorientierung da. Ein erfahrenes pädagogisches Team bereitet die Jugendlichen schulintern auf die Projektwoche vor und arbeitet eng mit den Workshop-Leiter:innen zusammen, denn die sind zwar fachlich, aber nicht immer pädagogisch -ausgebildet.

Der Initiatorin ist es wichtig, nicht nur viele junge Menschen zu erreichen, sondern gerade diejenigen, die zum Beispiel durch einen bildungsfernen Hintergrund sonst kaum Kontakt zu Kulturangeboten haben. „Diese Schüler:innen brauchen Impulse von außen. Wir öffnen ihnen neue Türen.“ Berufsorientierung setzt in der neunten Klasse an; „die Kids sind dann voll in der Pubertät“, erklärt Fricke und freut sich an der unbändigen Energie, die das auch bedeutet. Es ist auch eine entscheidende Zeit im Leben, um berufliche Weichen zu stellen.

240 Jugendliche, 21 Workshops

Dafür hat Fricke 21 ganz verschiedene Workshops organisiert. Dieses Jahr ist das Angebot so groß wie nie. Die Neuntklässler:innen wählen zwischen handwerklich-technischen, künstlerisch-kreativen und gesellschaftlich-historischen Inhalten. Sie experimentieren zum Beispiel mit Pyrotechnik, schreiben Songs und entwerfen Mode. Sie programmieren, diskutieren und kochen. Und das ausschließlich an außerschulischen Lernorten, ergänzend zu den Herrenhäuser Gärten zum Beispiel im Schauspielhaus, im Historischen Museum, im Sprengel Museum oder im Kunstverein. Überall sind die jungen Menschen willkommen. Allen Workshops sind Jobprofile zugeordnet. Dazu gehören zum Beispiel Hörakkustiker:in, Bauzeichner:in oder Fachkraft für Abfallwirtschaft.

Von Montag bis Donnerstag wird unter professioneller Anleitung auf den Höhepunkt der Projektwoche am Freitag hingearbeitet: die Präsentation der Ergebnisse im Hoftheater des Großen Gartens. Dabei rollen im Publikum und hinter der Bühne auch Tränen –vor Stolz, Rührung und glücklicher Erschöpfung. Aber vor allem zeigen die Jugendlichen, was in ihnen steckt. Und sie zeigen ihr neues, mitreißendes Selbstbewusstsein.

Wohlfühlen: Teenager erobern die barocken Gärten

Über sich hinauswachsen

Die Akademie der Spiele bietet „Berufsorientierung durch Selbstwertstärkung und macht persönlichkeitsbildende Angebote. Die Schüler:innen verlassen ihre Komfortzone richtig weit und finden dabei ihren Kompetenzbereich“, beschreibt Fricke. „Um eine gute Berufswahl zu treffen ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wer man ist, was man kann und will“, sagt sie, die ihren Kompetenzbereich gefunden hat, denn sie kann „Menschen beim Wachsen unterstützen, oft sogar über sich hinaus“. Um Berührungsängste schon im Vorfeld abzubauen, ist eine Führung durch den Großen Garten fester Bestandteil der Akademie. Mindestens zwei Drittel der Schüler:innen kennen die Herrenhäuser Gärten bis dahin nicht. Schon diese erste Begegnung ist eine wertvolle Gemeinschaftserfahrung, gerade in Zeiten pandemiebedingter Isolation. Und es gibt noch einen Vorgeschmack: Profifotograf Tobias Wölki, der die gesamte Projektwoche fotografisch begleitet, shootet vorab ein Gruppenbild vom kompletten Jahrgang.

Abschlusspräsentation: Im Publikum sind Freunde und Familien der Neuntklässler:innen begeistert

Christine Fricke, die nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung als Industriekauffrau machte, „weil meine Eltern es wollten“, studierte Geografie und arbeitete als freie Journalistin und im Marketing, bis sie das Eventmanagement entdeckte. Da sie dabei für den Internationalen Feuerwerkswettbewerb und andere kulturelle Themen der Stadt verantwortlich war, hat sie ausgezeichnete Kontakte, die sie inzwischen für die „Akademie der Spiele“ im Sinne der Jugendlichen nutzt. „Es ist schade, wenn Menschen in Kirchtürmen denken. Ich bringe gern Menschen, Ideen und Institutionen zusammen; und wir treten gemeinsam nach draußen“, sagt sie.

So hat sie ein produktives Netzwerk mit sehr engagierten Akteur:innen der Stadtgesellschaft aufgebaut. Allein das Staatstheater bietet 43 verschiedene Ausbildungsberufe und ist ein wichtiger Partner. Weil die Akademie jedes Jahr ein bisschen anders sein soll, wünscht sich die Organisatorin einen „ganzen Baukasten mit starken Partner:innen“.

Ich bringe alle
zusammen, und wir
treten gemeinsam
nach draußen. Wir
öffnen Türen.

Netzwerkkünstlerin: Christina Fricke nennen sie die Mutter der Spiele

Die „Akademie der Spiele“ läuft im Herbst 2021 bereits in der vierten Auflage. „Wesentlich ist die Verstetigung“, sagt Fricke, das reduziere den organisatorischen Aufwand. Für 2022 plant sie neue, auch inklusive Angebote und will ergänzend Ausbildungsberufe im sozialen Bereich vorstellen. Auf Basis der Erfahrung werden die Spiele bunter. Denn, sagt sie, „Copy-and-paste, das ist nicht meins“. Die „Akademie der Spiele“ will Kultur öffnen. Nicht nur für einen kleinen, erlesenen, immer gleichen Kreis, sondern für alle Menschen, vor allem die jungen.

Workshop Pyrotechnik: Schüler:innen setzen Chemie und Physik auf der Gartenbühne in Szene