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WINDSURFEN

Stark

im Wind

Steife Brise, viel Sonne und jede Menge Sport und Spaß: Das Steinhuder Meer war im Juni 2023 der Austragungsort der Weltmeisterschaft in der Raceboard-Windsurfklasse – und ein Familientreffen der besonderen Art.

Curro Manchon hatte ein bisschen Angst. Eine WM in Deutschland, dazu noch auf einem See, wie würde das werden? Kalt, kein Wind, wenig Wellen? Der Spanier muss lachen, wenn er an seine Vorbehalte denkt. Rückblickend sagt er: „Es war fantastisch.“

Das Steinhuder Meer ist im Juni 2023 die Bühne für die Weltmeisterschaft in der Raceboard-Windsurfklasse. Noch nie war eine WM größer als in diesem Jahr mit mehr als 150 Teilnehmenden aus 21 Nationen. Sogar aus Australien und Argentinien sind die Sportler:innen angereist. Mehr als ein Dutzend Wettfahrten an sechs Tagen, spannender Sport, viel Sonne und Wind – die Weltmeisterschaft macht Eindruck.

Es ist noch ruhig am frühen Morgen des ersten Renntages. Wer sich vom Uferweg in Mardorf dem größten See Niedersachsens nähert, ahnt noch nicht, welcher Trubel schon bald ausbrechen wird. Doch spätestens beim Blick auf die vielen inter­natio­na­len Fahnen, die direkt am Steg im Wind wehen, wird klar: Hier ist heute etwas anders als sonst.

Wie Lars Deiterding die Surf-WM erlebte:

Auch Curro Manchon hätte sich die Anreise nach Mardorf anders vorgestellt. Der Koffer ist auf dem Flug von Sevilla nach Hannover abhandengekommen. Zumindest das Regattamaterial hat er zusammen. Um aber mehr zum Anziehen zu haben als einen Neoprenanzug, lernt Manchon auch die Innenstadt Hannovers bei einer Shoppingrunde kennen.

Manchon hat in seiner ­Karriere schon viele Erfolge gefeiert. 2023 belegte er den zweiten Platz bei den Raceboard European and Masters Championships auf Ibiza und ist der amtierende spanische Meister in der Raceboard-Klasse. Er lebt in Sevilla und fährt zum Surfen etwa eine Stunde nach Cádiz an die spanische Atlantikküste. „Ich liebe die hohen Wellen, die Herausforderungen, die das Wetter und der Ozean bringen.“

Ganz so leicht ist es deshalb für ihn nicht auf dem Steinhuder Meer. Am Ende wird er auf dem vierten Platz landen. Er sagt, dass es im offenen Gewässer besser für ihn gelaufen wäre. Eine Menge Spaß gemacht hat ihm die Reise trotzdem.

Ob am Strand oder auf dem Wasser, die Familie von Curro Manchon genießt die WM.

Drei Generationen reisen mit

Und er ist bei Weitem nicht allein. Seine Frau begleitet ihn, wollte eigentlich auch antreten, aber im letzten Moment sagte die Baby­sitterin für die noch nicht einjährige Tochter ab, die am Sandstrand spielen kann. Dafür sind seine Eltern mit auf dem Wasser. Der Vater ist 77, die Mutter 65. Und eigentlich wäre auch noch seine Schwester Blanca dabei, doch die Weltmeisterin der olympischen RS:X-Klasse und aktuelle Europameisterin ist vor Kurzem Mutter von Zwillingen geworden.

„Wenn du mit mir zusammen sein willst, solltest du besser auch das Windsurfen lieben.“

Manchon kommt aus einer sportbegeisterten Familie. Im Jahr seiner Geburt, 1979, entdeckte sein Vater, eigentlich Leichtathlet, das Surfen für sich. Der Architekt nutzte danach jede freie Minute und überzeugte auch seine Frau. Der junge Curro stand früh auf dem Brett. Und er liebt es bis heute. Wenn er sich, ebenfalls Architekt, nicht um seine Projekte oder die Ferienwohnungen kümmert, fährt er ans Meer. Oft ist seine Frau dabei, ein bisschen erzwungenermaßen. „Zwei Wochen, nachdem wir uns kennengelernt haben, habe ich zu ihr gesagt: Wenn du mit mir zusammen sein willst, solltest du besser auch das Windsurfen lieben“, erzählt Manchon und lacht.

Die Meisterschaft auf dem Steinhuder Meer ist für ihn auch eine Art familiäres Treffen – nicht nur, weil er seine eigene Familie mitgebracht hat. Manchon beschreibt es so: tagsüber mit den besten Surfern der Welt gegeneinander Rennen fahren und abends mit allen Surfer:innen in bester Freundschaft ein Bier genießen. Nach der WM wird er sagen: „Das Wetter war wunderbar, der Wind auch, alles war super organisiert, es hat viel Spaß gemacht.“

Beim gut organisierten Familientreffen der anderen Art spielt wirklich alles mit, sogar das Wetter.

Verbindung von Leistungs- und Breitensport

Für seine Eltern freut sich Manchon, dass die Rennumgebung nicht nur etwas für Profis ist. Denn die WM ist in gewisser Weise eine Verbindung von Leistungs- und Breitensport. Für die Teilnahme braucht es, anders als bei anderen Rennklassen, keine Punkte aus vorherigen Rennen. Die Raceboards sind, vereinfacht gesagt, bei allen Bedingungen nutzbar. Sie sind länger als andere Windsurfbretter, und dank eines ein- und ausklappbaren Schwertes ist auch das Fahren gegen den Wind bei allen Windbedingungen möglich. So können aufstrebende Nachwuchssportler:innen, die irgendwann in die Olympiaklasse wechseln wollen, aber auch ehemalige Leistungssportler:innen, die nicht ad hoc aufhören wollen, bei fast allen Bedingungen gegen die aktuellen Topsportler antreten und ihre Kräfte, ihr Brettgefühl und ihr taktisches Können messen. „Damit haben wir ein ganz breites Feld an Startenden – das finde ich sehr interessant“, sagt Fahrersprecher Lars Deiterding, der selbst seit dreißig Jahren erfolgreich an Welt- und Europameisterschaften teilnimmt.

Er hatte die Idee für eine WM-Bewerbung vor zwei Jahren bei der internationalen deutschen Meisterschaft am Steinhuder Meer. Aber was sprach eigentlich für das Gewässer? „Wir haben ein Revier gesucht, das sowohl interessant als auch sicher ist“, sagt der Niedersachse Deiterding. Viel Platz auf dem Wasser, um auch taktisches Fahren zu ermöglichen, und Windsicherheit – das bringt der größte See Niedersachsens mit. Und weil das Feld der Teilnehmenden sowohl Jugendliche als auch Ü-70-Starter:innen umfasst, schien für Deiterding der See eine ideale Wahl: „Auf einem Binnengewässer, das noch dazu nicht sonderlich tief ist, kann einfach weniger passieren.“

Surfen und Freunde wiedersehen: Lars Deiterding kann beides bei dieser von ihm initiierten WM.

Kümmert sich um den Rahmen: Lothar Knopf vom Yacht-Club Niedersachsen.

Los gehen die Rennen auf der Seemitte. Das Team hat den Regatta­kurs mit roten Bojen abgesteckt, und an den meisten Tagen sind die Windbedingungen ideal. Die Jury verfolgt die Rennen von einem gelben Boot aus, die Zieleinläufe werden per Video festgehalten, um die Reihenfolge auch wirklich exakt nachverfolgen zu können. Die mehr als ein Dutzend Wettfahrten können praktisch alle unter guten Bedingungen gefahren werden. Von „erstklassigem Sport“ spricht Lars Deiterding.

Ehrenamtliches Engagement

Eine solche Weltmeisterschaft ist nicht möglich ohne die Menschen, die ehrenamtlich alles geben, um den Startenden beste Bedingungen zu sichern. In Mardorf kümmert sich der Yacht-Club Niedersachsen um den Rahmen. Ein kleines Team um den Sportwart Lothar Knopf hat zusammen mit dem Leitungsteam um Deiterding über Monate alles geplant. Knopf ist viel unterwegs an diesen Tagen im Juni. Das Handy hat er immer in der Hand und oft am Ohr. „Das geht alles Hand in Hand – ich bin stolz, wie gut es läuft“, erzählt Knopf, weißes T-Shirt mit der eingehängten Lesebrille, rote Shorts, dazu – natürlich – Segelschuhe. Und die Teilnehmenden melden das auch zurück. Das Buffet sei eben viel mehr als „Bratwurst vom Grill“, sagt Knopf. Stattdessen gibt es zur Eröffnungsfeier ein vom Küchenteam frisch gekochtes Nudelbuffet, nach jedem Renntag einen hausgemachten Snack und abends dann auch echtes Grillgut, Salate und sogar Nachtisch. Leicht war die Organisation nicht. Eine Bühne, Toiletten, Essen, viel Equipment – all das muss ja erst einmal organisiert und auch bezahlt werden. Dabei half die Unterstützung durch die Lotto-Sport-Stiftung für den ausrichtenden Yacht-Club.

Nach der Veranstaltung: Zufriedenheit auf allen Seiten. Ausrichter Lothar Knopf hat einen sehr offenen Umgang erlebt, auch den Neuen und den weit Gereisten gegenüber. Lars Deiterding begeistert auch danach noch die echte Hilfsbereitschaft, wenn es mal mit der Kraft nach den Wettfahrten oder mit dem Material nicht so gut passte. Vielleicht das Wichtigste: Der Wind war am ersten Tag ideal. „Für Sportlerinnen und Sportler, die mit dem Wind arbeiten, macht das enorm viel aus“, sagt Knopf, das gibt ein positives Grund­gefühl auch für die restlichen Tage. Curro Manchon und seine sportliche Familie können das nur bestätigen.◼