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TRAINERPROGRAMM

Kam über den Mitternachtssport zum Trainerprogramm: Mehmet Emin Miisoglu möchte unterstützen und Jugendliche trainieren.

Vorbilder –

gesucht und gefunden

Beim TSV Barsinghausen spielen Menschen mit unterschiedlichsten Nationalitäten und Hintergründen Fußball. Nur Trainer:innen mit Migrationshintergrund, die waren bislang selten. Deshalb hat der Verein ein besonderes Ausbildungsprojekt gestartet – mit Unterstützung der Lotto-Sport-Stiftung.

Es ist frostig an ­diesem Dienstagabend im Fe­bru­ar. Im Stadion des TSV Barsinghausen, direkt am Waldrand, springt um kurz vor halb sechs das Flutlicht über dem Kunstrasenplatz an. Gerade geht Mehmet Emin Miisoglu mit ein paar Jugendlichen auf das immergrüne Plastik, gleich beginnt das Training der C1-Jugend. Dass dieser Mehmet Emin Miisoglu hier als Co-Trainer dabei ist, das ist eine besondere Geschichte.

„Uns fehlen nicht nur Trainer, uns fehlen Vorbilder“, sagt Sascha Duy, im Vorstand des Vereins für die Jugend zuständig. Die Jugendmannschaften ab der D-Jugend sind in einer Spielgemeinschaft der Vereine TSV Barsinghausen, VSV Hohenbostel und TSV Kirchdorf organisiert – als Basche United. Seit Jahren gab es zu wenige Trainer:innen für zu viele an Fußball interessierte Kinder. „Wir mussten immer wieder Kinder nach Hause schicken, konnten nicht alle in den Mannschaften unterbringen“, sagt Duy. Schade für den Verein, der anderenfalls noch eine weitere Mannschaft hätte anmelden können und dem so manches Talent durch die Lappen gegangen sein mag. Schade aber auch für die Kinder, die dann auch nicht wiedergekommen sind. Sascha Duy: „Da mussten wir Kinder nach Hause schicken, wo klar war: Die könnten das Miteinander, den Sport, den Austausch mit anderen gut brauchen.“ Verpasste Chancen nennt Duy solche Situationen und wollte sich nicht mehr damit abfinden.

Viele der Kinder und Jugendlichen haben einen sogenannten Migrationshintergrund, manche kommen aus den Teilen Barsinghausens, die einige in der Stadt Brennpunkte nennen. Da helfe es manchmal eben, sagt Duy, wenn jemand ihre Sprache spreche, nicht nur im Wortsinn, sondern eben auch weiß, was es heißt, nicht seit zig Generationen hier im Umland von Hannover zu leben. „Man kann diesen Kindern und Jugendlichen Vorbild sein, ihnen zeigen: Ich habe es geschafft in diesem Sport, in dieser Gesellschaft – du schaffst das auch!“

Eine besondere Trainerkombination: Oliver Fürtbauer und Rezan Khoadeda:

Miisoglu ist als Co-Trainer seit etwa einem Jahr bei den Junioren. Dass er dabei ist, hat viel mit Sascha Duy zu tun. Der Mann mit dem ansteckenden Lachen hat schon viele Positionen im Verein innegehabt. Aktuell ist er Leiter der Jugendsparte. „Ich bin kein Trainer, ich bin Problemlöser“, sagt Duy. Schon vor ein paar Jahren saßen sie im Vorstand zusammen, Duy sagte: Wir haben hier Menschen mit Migrationshintergrund, mehr als ein Dutzend Nationalitäten haben die Spieler in ihren Lebensgeschichten. „Wir brauchen Trainer mit Migrationshintergrund“, sagte Duy. Vorbilder, die auch in die Mannschaften hineinwirken. „Denn“, so sagt Duy, „wer Mehmet heißt, macht hierzulande immer noch andere Erfahrungen als ein Sascha.“

Mit einer Guerilla-Aktion auf Trainer:innensuche

Also machte er sich mit seinen Mitstreiter:innen auf die Suche. Das Ziel: Menschen für den Verein gewinnen und sie zu Trainer:innen ausbilden. Mit Unterstützung, auch durch die Lotto-Sport-Stiftung, konnte Sascha Duy das lange angedachte Projekt im Jahr 2023, Corona war weitestgehend in den Hintergrund gerückt, endlich angehen. In einer Guerilla-Aktion, so nennt es Duy, klebte er Plakate in der ­ganzen Stadt. Darauf der Satz „Sei schlau, komm zum TSV“ und Infos zum Projekt. Duy und sein Team ­drehten Tiktok-­Videos, sie sprachen auch die sogenannten Multiplikator:innen an, bekannte Gesichter in den Stadtteilen, Sozialarbeiter:innen und eine Lehrerin, die Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Duy ging auch zum Mitternachtssport, einer in Barsinghausen beliebten Einrichtung. Einmal im Monat bleibt dort die Sporthalle lange und für alle geöffnet, besonders viele Jugendliche mit Migrationshintergrund kommen. Mitten unter ihnen: Mehmet Emin Miisoglu. Der hat neben seinem Hauptberuf schon für die Stadt in Jugendzentren gearbeitet und ist Schiedsrichter beim Mitternachtssport. Duy und Miisoglu kamen ins Gespräch, ein Handschlag, ein neuer Trainer in Ausbildung war gefunden. „Wenn einer sagt, ich könnte es mir vorstellen, dann ist er schon gekauft“, sagt Sascha Duy und lacht.

Ob in der D2- oder in der C1-Jugend: Mehmet Emin Miisoglu wird mit seiner ruhigen Art als Co-Trainer von allen geschätzt.

Ein gutes Jahr später steht er nun neben Mehmet Emin Miisoglu auf dem Trainingsplatz und erzählt vom Projekt. Drei weitere Traineranwärter hat man mit der Aktion gefunden, alle sind im Verein als Co-Trainer eingebunden, in der Jugend oder bei den Herren. Für Mehmet Emin Miisoglu war klar, dass er mit Jugendlichen arbeiten wollte. Er sah die politisch-soziale Komponente, die er unterstützen wollte. „Ihr findet nicht so leicht einen Trainer für die Jugendlichen so kurz vor oder schon in der Pubertät, davon viele mit einem Migrationshintergrund“, sagte Miisoglu und war da. Der Kurde, in der Türkei geboren und aufgewachsen, kam mit sieben Jahren nach Deutschland. Er weiß, wie das Leben zwischen den zwei Welten ist, welche Vorurteile einige seiner Spieler:innen ertragen müssen, was die Hürden sind, die manche ihrer Teamkolleg:innen so nicht kennen.

Ein Volltreffer für Team und Verein

Seit etwa einem Jahr hilft der 35-Jährige dem Trainerteam, ist zwei-, manchmal dreimal pro Woche abends beim Training, dazu noch bei den Spielen am Wochenende. Nur wenn er Spätschicht hat, der Maschinenführer beim Kekshersteller Bahlsen, dann muss er das Training ausfallen lassen. „Mehmet ist voll dabei“, sagt Trainer und Mentor Gerrit Nolte. Teamfähig sei er, diszipliniert, ruhig, empathisch. Ein Volltreffer für Team und Verein. So sieht das auch Florian Krebs, seit dem ersten Tag Miisoglus Mentor, mit dem er sich im Vorjahr schon um die D2-Jugend gekümmert hat. Krebs: „Wegen seiner ruhigen und sympathischen Art haben wir Mehmet zur C1 geholt.“

Man kann diesen Kindern und Jugendlichen Vorbild sein, ihnen zeigen: Ich habe es geschafft in diesem Sport, in dieser Gesellschaft – du schaffst das auch!

An diesem Dienstagabend übernimmt er die Aufwärmübung am Spielfeldrand. Mehmet Emin Miisoglu, schwarze Wollmütze zum dunkelblauen Trainingsanzug, legt einige neongelbe Hütchen auf den Plastikrasen. Dann ruft er zwei Spieler, die die Jungs als Anführer in zwei Gruppen ins Laufen bringen sollen. Miisoglu ist ein ruhiger Trainer, sagt während der Einheit und auch beim Rest des Trainings nur wenige Worte. Hier mal ein Hinweis, wie ein Spieler besser zum Ball kommt, dort mal eine kleine Erinnerung, auch das Dehnen ernst zu nehmen.

Die 13- und 14-Jährigen spielen in dieser Saison in der Bezirksliga. Der Aufstieg war ein großer Erfolg. Jetzt heißt es: drinbleiben in der Klasse. Zum Start der Rückrunde liegt das Team noch auf einem Abstiegsplatz. Das Trainerteam um Gerrit Nolte hofft aber darauf, das große Ziel noch zu schaffen.

Teamgeist: In dieser Saison spielt die C1-Jugend in der Bezirksliga und will auf jeden Fall drinbleiben.

„Ich bin Problemlöser“: Sascha Duy hatte die Idee zu „Sei schlau, komm zum TSV“.

Die Mannschaft will die Klasse halten, Miisoglu will den Trainerschein

Das große persönliche Ziel für Miisoglu ist der Trainerschein. Ein paar Stempel und Unterschriften fehlen noch, sagt Sascha Duy, dann könne sein Schützling Miisoglu beim nahen Ausbildungszentrum des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV) seine Ausbildung beginnen. Der erste Schritt wäre der C-Trainer-Schein. Am Ende der Ausbildung, so heißt es beim Landesverband, sollte man ein Training gut planen, durchführen und auswerten können, den Spaß an der Bewegung immer im Blick behalten und vor allem die eigene Trainer:innenpersönlichkeit weiterentwickeln. „Wir werden Mehmet beim Fußballerischen jederzeit unterstützen“, sagt der erfahrene Trainer Gerrit Nolte. Und natürlich freut er sich über den Input, über neue Ideen, die Trainer:innen in Ausbildung auch immer aus den Lehrgängen mitbringen. Eine Win-win-Situation für alle, könnte man sagen.

Das Projekt mit dieser besonderen Trainer:innenausbildung wird bis Ende 2024 verlängert, berichtet Duy noch. Das Ziel sei es jetzt, die vier Trainerkandidaten langfristig zu unterstützen. Wenn alle gefestigt sind, dann würde Duy das Projekt gern noch ausbauen. „Es ist viel Arbeit, aber wir sind alle sicher, dass es sich unglaublich lohnt.“ ◼