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Schatzkiste

Alte Schätze,

neues Leben

Mit dem Sozialkaufhaus Die Schatzkiste haben fünfzehn Frauen in Elsfleth eine Lücke geschlossen. Ihr ehrenamtliches Engagement richtet sich an Bedürftige und gegen die Wegwerfgesellschaft.

Die Ärmchen des kleinen Mädchens heben eine rosafarbene Babyschale zum Tresen, auf den das Kind selbst gerade eben so schauen kann. Die schwangere Mutter fragt auf Englisch nach dem Preis, freut sich, legt noch eine weitere Puppe für die Schwester dazu und bezahlt.

Eigentlich eine alltägliche Situation. Aber dann nimmt die Kassiererin die Puppe noch einmal in ihre Hände, knuddelt sie sacht zum Abschied und sagt zu ihr auf Englisch: „O wie schön, dass du jetzt ein neues Zuhause findest!“ Und zu dem Mädchen gewandt fügt sie hinzu: „Ich habe sie sehr lieb gehabt, und jetzt wirst du sie bestimmt auch lieb haben.“ Sie legt die Puppe wieder in die Babywippe und deckt sie fürsorglich zu.

Die Verkäuferin ist Renate Detje, Gründerin der Schatzkiste, des ersten Sozialkaufhauses in Elsfleth zwischen Bremen und Oldenburg. Das kleine Mädchen und seine Mutter sind ukrainische Flüchtlinge.

„Viele unserer Kundinnen und Kunden sind Flüchtlinge, einige zählen schon zu unseren Stammkunden und kaufen bei uns ihren Hausstand“, sagt Renate Detje.

So auch eine weitere Kundin, Tatiana Kyryienko. Sie kam im April 2022 allein aus der Ostukraine nach Elsfleth. Heute sucht sie Gardinen, und da sie kein Englisch spricht, hilft eine App bei der Übersetzung zwischen Kundin und Schatzkisten-Belegschaft. „Das ist so praktisch. Sie spricht rein, was sie braucht, und wir wissen dann, wie wir ihr helfen können.“

Gründerin Renate Detje:

Wachsende Mitgliederzahl

Hinter dem Sozialkaufhaus verbirgt sich der Verein Schatzkiste: alte Schätze – neues Leben e. V., gegründet im Jahr 2021 von fünfzehn Frauen, die sich ehrenamtlich engagieren, die Menschen helfen wollen, denen es nicht so gut geht. Mittlerweile ist die Mitgliederzahl auf dreißig angestiegen. Und es werden mehr.

„Der Bedarf ist da und auch der Wille, zu helfen. Hier in der südlichen Wesermarsch gab es kein Sozialkaufhaus. Das nächste ist in der Kreisstadt Brake.“ Knapp elf Kilometer Weg-strecke nach Norden liegen zwischen den beiden Städten.

Elsfleth liegt inmitten eines Naturidylls: Störche staksen zwischen Kühen auf sattgrünen, von Sielen durchzogenen und von Schilf gesäumten Weiden. Der Blick geht weit, und die Nordsee weht einen salzigen Gruß ins Land. Es ist rekordverdächtig heiß an diesem Tag im August, wie die Wetterdienste vermelden. So heiß, dass sich kaum eine Menschenseele in die Fußgängerzone mit ihren Giebelhäusern aus den letzten drei Jahrhunderten verirrt. Jene, die sich trotzdem nach draußen wagen, begrüßen einander mit „Moin“, und gefühlt kennen sich alle beim Namen. Die Elsflether:innen sind verbunden: mit ihrer Stadt, ihrer Geschichte und mit ehrenamtlichem Engagement.

Mit Spaß und Engagement dabei (von links): Renate Detje, Erika Pichler und Karin Gebauer

Vielleicht liegt es daran, dass sie es mit der Muttermilch aufsaugen. Mindestens ein Ehrenamt auszuüben gehört für viele dazu. Nahezu allen, mit denen man hier in Kontakt tritt, ist es ein Anliegen, anderen zu helfen. Den Laden am Laufen zu halten, allgemein gesprochen. Oder eben tatsächlich einen zu gründen, wenn der Bedarf gesehen wird. So wie diesen: die Schatzkiste. Hinter einem Blumenbeet, in dem ein hölzerner Wegweiser steckt, der die Entfernungen nach Mittelerde, Hogwarts, Panem und, das Gute liegt so nah, dem Elsflether Keeskokenhuus angibt, Plattdeutsch für Käsekuchenhaus.

Die Schatzkiste öffnet erst in einer halben Stunde. Aber als die ersten Kleiderständer von den Mitarbeiterinnen vor die Tür in die Hitze geschoben werden, tummeln sich bereits fünf Frauen im Verkaufsraum. Unter ihnen ist Erika Pichler, Schriftführerin des Vereins, außerdem Schatzmeisterin Karin Gebauer sowie Karin Logemann, Gründungsmitglied und Landespolitikerin, die für einen Tag im Laden hospitiert. Auch Spenderinnen und Bekannte sind kurz auf einen Plausch vorbeigekommen.

Karin Logemann freut sich darüber, direkt mit anpacken zu können, und zeichnet Kleiderbügel mit den passenden Größenpins aus. „Hier in der Gegend wird das Ehrenamt hochgehalten. Hier kommt keiner und fragt als Erstes: Was kriege ich dafür? Hier läuft das anders, das ist eine Verantwortung, die man für andere übernimmt.“

Engagement und Förderung

Daher stammt die Idee für dieses Kaufhaus: einen Ort zu schaffen, an dem es gut erhaltene Kleidung, Spielzeug und Haushaltsgegenstände zu einem kleinen Preis gibt. Erika Pichler erzählt: „Es hat ein knappes halbes Jahr gedauert, bis wir alle abgeklappert hatten, Notare, Finanzamt, Förderinnen und Förderer, ehe wir anfangen konnten, Spenden zu sammeln.“

Die Gründerinnen brauchten Räume und fanden hier ein komplett ausgestattetes, leer stehendes Bekleidungsgeschäft. Die Besitzerin des Hauses wollte die Frauen unterstützen und bot ihnen die hundert Quadratmeter für eine günstige Miete an. Bei der Finanzierung half die Niedersächsische Lotto-Sport-Stiftung den Frauen enorm. Die Stiftung sah den Bedarf und das Herzblut der Gründerinnen und finanziert dem Verein ein Jahr lang die Miet- und Stromkosten für das Sozialkaufhaus. Dies ebnet den Ehrenamtlichen den Weg, ihr Vorhaben nicht nur schneller als gedacht, sondern auch langfristig in die Tat umsetzen zu können.

Sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen: Wer denkt, dass das ausschließlich mit Mühe und Entbehrungen zu bewerkstelligen sei, der muss sich nur mal für eine Stunde zu diesem Haufen quirliger Frauen gesellen. Allein drei von ihnen bringen zusammen mehr als sechs Jahrzehnte ehrenamtlicher Arbeit zusammen: beim Roten Kreuz, in der Stadt, der Schule, in Sportvereinen, der Politik. Sie sehen, wo sie gebraucht werden, und handeln.

Zum Stöbern: In der Schatzkiste gibt es alles von Kleidung über Gardinen bis Geschirr. Lea Gehlhaar schätzt beim Taschenkauf auch den Nachhaltigkeitsgedanken.

Die Schatzkiste ist nicht nur für Bedürftige da

Lea Gehlhaar kommt vorbei. Die Leiterin der Tourist-Information ist regelmäßige Kundin, hat ein Faible für Taschen, möchte dabei aber nachhaltig sein und schaut sich regelmäßig in der Schatzkiste um. Heute lacht sie eine sommerliche Basttasche an. „Die ist doch schick, möchtest du sie mitnehmen?“ Keine fünf Minuten später hat Lea Gehlhaar die Tasche gekauft. Für vier Euro.

„Der nachhaltige Gedanke gefällt mir. Das hat schon mal jemand getragen. Wir in Elsfleth sind ja auch betroffen vom Sterben der kleinen Städte.“ Da freut sie sich, den Besucher:innen der Stadt sagen zu können: „Gehen Sie da mal hin.“

Und die Tourist:innen kommen – „sogar vom Wohnmobilstellplatz“, ergänzt Karin Gebauer. Vom Segelverein ebenfalls. Sylvia Evans aus Lemgo hat mit ihrem Segelschiff im Segelhafen der Stadt angelegt und kauft einen blau-weißen Tischläufer und einen Kartoffelstampfer fürs Boot: „Ich schaue immer in diese Art Läden. Ich finde die Idee gut. Das Ehrenamt muss hochgehalten werden, sonst würde alles zusammenbrechen“, sagt sie.

Die Teile sind nicht ausgepreist. „Machen Sie es nicht so günstig“, ermahnt die Kundin. „Na, dann fünf Euro.“ Sylvia Evans protestiert, das sei zu günstig, und gibt zehn. Der Rest wandert ins Spendenschwein auf dem Tresen, erst dann ist die Seglerin mit dem Preis zufrieden.

Bevor sie geht, sagt sie den Vereinsfrauen noch: „Eine tolle Einrichtung für Leute, die wenig Geld haben. Und ich finde es aus ökologischer Sicht toll.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. ◼