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Inklusionsfußball

Gelebte Inklusion: Beim Turnier des SC Hainberg spielen Menschen mit und ohne Behinderung mit- und gegeneinander.

Und wenn wir

alle zusammen-
spielen?

Beim Inklusionsfußball kicken Menschen mit und ohne Behinderung. Besonders engagiert ist in dem Bereich der SC Hainberg aus Göttingen. Ein Besuch bei einem inklusiven Fußballturnier.

Ein Schuss aufs Tor, der Torwart hält, der Mitspieler des Schützen hätte gern den Ball gehabt. „Gib doch ab, Mann, ich hätte den reingemacht“, ruft er dem Teamkollegen zu. Kurzes Grummeln auf beiden Seiten, das hier ist Sport – und wird mit Ehrgeiz gelebt.

Es ist eine Szene vom Inklusionsfußballturnier, das der SC Hainberg in Göttingen im September 2022 ausrichtet. An diesem Samstag, an dem sich Sonne und Regen abwechseln, sind viele Besucher:innen auf die Sportanlage gekommen. Außer dem Turnier richtet der Verein auch noch ein Nachbarschaftsfest aus. Es gibt Kuchen, Kaffee, viel Austausch für die Menschen aus dem Viertel.

Der SC Hainberg ist ein besonderer Verein. Der Club mit seinem Vereinsgelände auf den Zietenterrassen nah am Göttinger Stadtwald engagiert sich seit Jahren auf vielen sozialen Feldern. Aktuell sind mehr als ein Dutzend Freiwilligendienstler:innen Teil des Teams. Es gibt Projekte für das Quartier, Hilfe für den Alltag von Menschen im Rollstuhl und den inklusiven Fußball, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammenkommen. Aus der alten Vereinskneipe direkt neben der Sporthalle mit Skate-Anlage ist ein Treffpunkt des Quartiers geworden, über dem Eingang steht „Raum für Menschen“.

Marvin Schönwies erzählt, was der SC Hainberg für ihn bedeutet

Ein Möglichmacher von so viel Engagement ist Lars Willmann. Er ist nicht nur Co-Trainer der ersten Herrenmannschaft, die es ohne die üblichen Geldzahlungen an die Spieler in die Landesliga geschafft hat. Willmann ist auch Quartiersmanager beim Verein. Dessen Gemeinwesenarbeit wird auch von der Lotto-Sport-Stiftung gefördert.

„Der SC Hainberg ist der erste Verein überhaupt in Niedersachsen, der auf diese Art Quartiersarbeit leistet, und damit bei diesem Thema ein echter Leuchtturm“, sagte der damalige niedersächsische Bauminister Olaf Lies bei einem Besuch im Jahr 2021. Mit dabei war damals auch die Landtagspräsidentin Gabriele Andretta. Sie sagte: „Integration braucht einfach Orte. Und hier ist der perfekte Ort dafür geschaffen worden.“

Lars Willmann ist der Typ „einfach machen“. Er ist im Göttinger Stadtteil Grone aufgewachsen, in einem Umfeld mit eher wenig Einkommen, aber viel Herz. „Meinen ersten deutschen Freund hatte ich erst mit sieben Jahren“, sagt Willmann am Rand des Sportplatzes und lacht. Was er meint: Er ist mit vielen Menschen mit Wurzeln im Ausland aufgewachsen, hat also keine Berührungsängste mit dem scheinbar anderen.

„Das ist so toll, so lebensbejahend“: Quartiersmanager Lars Willmann

Behindert oder nicht: einfach „Hallo“ sagen

Was ihm beim Thema Behinderung besonders wichtig ist: „Haltet euch nicht mit Begrifflichkeiten auf.“ Statt lange zu überlegen, ob man nun behindert sagen darf, sollte man einfach „Hallo“ sagen und die Menschen mitmachen lassen – beim Sport, in der Gemeinschaft.

Jetzt wird das nächste Spiel angepfiffen. Sofort ist Action – ein langer Pass kommt nicht an, Spieler beschweren sich, dann ein Tor, Jubel, schweißnasse Umarmung. „Das ist so toll, so lebensbejahend“, sagt Willmann. Dann kommt zum wiederholten Mal ein Spieler mit geistiger und körperlicher Behinderung, fragt ihn wieder, wann es denn endlich gegen die erste Mannschaft des SC Hainberg geht, die in der Landesliga spielt. Und dass das Inklusionsteam gern noch neue Trikots hätte. Willmann lacht, neckt den Sportler Anfang fünfzig, der im Spiel zwei Ballkontakte hatte und doch voll dabei ist.

Besonders das selbstverständliche Miteinander ist für viele sehr selbstwirksam und ein Empowerment, ohne im „Abseits“ zu stehen.

Lars Willmann geht über den Platz, neben der Trainerin Isabel Panzacchi steht eine sogenannte Handicap-Tasche. Darin: Utensilien, die den Teilnehmer:innen einen Eindruck vermitteln, wie es ist, mit einer Behinderung Sport zu machen – und die die Leistungsfähigkeit etwas angleichen. Darunter: eine Brille mit viel Stärke, eine Bleiweste, Gummibänder, um die Beine zusammenzuhalten und das Laufen zu erschweren. Es gibt keine Pflicht zum Tragen eines dieser Dinge, aber die meisten machen es.

Es gibt Spieler, die berühren in den kurzen Spielen nur einmal den Ball. Und doch freuen sie sich ausgelassen, sie fluchen, feiern nach dem Abpfiff, meckern sich an, feuern sich an. Es sind die Sprüche der Sportplätze, die man auch hier hört.

„Mir geben die Menschen unglaublich viel“: Trainerin Isabel Panzacchi

Trainerin Isabel Panzacchi steht am Seitenrand. Sie wird gleich selbst mitspielen. Die 22-Jährige war 2020 als Freiwillige zum SC Hainberg gekommen, leistete ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr im Verein. In der Corona-Zeit wurden der Verein und die Arbeit mit den Fußballer:innen ein zentrales Thema in ihrem Leben. Immer dienstags spielte sie bei „Die Welt ist bunt“ mit – einem Fußballteam aus Geflüchteten und allen, die Lust auf Fußball haben. Sie wurde dann erst Co-Trainerin, bald darauf Trainerin der Inklusionsmannschaft, die bei Turnieren von Special Olympics Deutschland als „Unified-Team“ antritt.

„Mir gibt der Sport, mir geben die Menschen unglaublich viel“, sagt -Isabel Panzacchi. Was sie mitbringen muss als Trainerin? „Geduld.“ Aber das gelte für jeden Teamsport. Was kann der eine, was kann die andere, welche Übungen sind möglich, welche nicht? Fragen, die sich jede gute Trainerin stellen muss, egal, ob die Schützlinge behindert sind oder nicht. Die junge Frau führt das Team mit Ruhe und einer klaren Ansprache.

„Ganz selbstverständlich hier mit dabei“: Torwart Marvin Schönwies. Sein Highlight war 2022 die nationale Ausgabe der Special Olympics in Berlin.

Gestärkt durch ein selbstverständliches Miteinander

Andreas Südbeck-Bujara kann gut beschreiben, was der Sport mit den Menschen hier macht. Er leitet das Wohnhaus in der Trägerschaft der Göttinger Werkstätten für Menschen mit Behinderung, das für viele ihr Zuhause ist, es liegt nur ein paar Gehminuten entfernt. „Der Fußball bedeutet den Bewohner:innen unglaublich viel“, sagt Südbeck-Bujara am Spielfeldrand. Es sei aber nicht nur der Sport, das Erleben des Körperlichen, das An-Grenzen-Gehen. Besonders das selbstverständliche Miteinander, das im Leben von Menschen mit Behinderung eben oft nicht selbstverständlich ist, sei für viele sehr selbstwirksam und ein Empowerment, ohne im „Abseits“ zu stehen. „Nach einem Spiel gehen viele ganz anders durchs Haus“, sagt der Wohnheimleiter.

Ganz nah dran an einem Spieler ist Patricia Schönwies. Sie ist die Mutter des Torwarts Marvin. Als sie von ihrem Sohn erzählt, schimpft der gerade im Hintergrund in seinem gelb-schwarzen Torwartdress über ein Gegentor. Die Mutter kommt aus dem Schwärmen über das Projekt kaum heraus. Sie hat selbst lange Fußball gespielt, weiß, wie schön dieser Sport sein kann. „Es ist toll, dass Marvin hier ganz selbstverständlich dabei sein kann“, sagt sie. Besonders die Fahrt nach Berlin sei ein echtes Highlight gewesen, über das sie zu Hause immer noch oft sprechen.

Im Juni 2022 fuhr das Team dank der Unterstützung der Lotto-Sport-Stiftung zu der nationalen Ausgabe der Special Olympics in Berlin. Rund 4.000 Athlet:innen haben sich bei einem Fest der Begegnung in zwanzig Sportarten gemessen – darunter Fußball. Es war der Vorläufer zu den Special Olympics World Games Berlin 2023, der weltweit größten inklusiven Sportveranstaltung.

Sportlich lief es für die Hainberger beim Unified-Wettbewerb mit 23 Teams auf dem Maifeld am Olympiastadion in Berlin nicht ideal. Aber so richtig ärgern wollte sich Trainerin Isabel Panzacchi nicht darüber. „Wir wollen gut zusammenspielen, uns an uns selbst messen“, so formuliert sie die Ziele. Mit Ehrgeiz. Und mit Herz. ◼